Die Pfahlbauer

Wenn man an das Neolithikum in der Schweiz denkt, kommen einem zunächst die Pfahlbauer in den Sinn, die an den Ufern der Schweizer Seen lebten. Das Interesse und die Erforschung der Pfahlbauer begannen bereits im 19. Jh. Bis heute werden immer wieder neue Siedlungen ausgegraben und untersucht. Heute zählen die Schweizer Pfahlbauersiedlungen zusammen mit weiteren aus Süddeutschland, Österreich, Norditalien, Ostfrankreich und Slowenien zum UNESCO-Kulturerbe.

Abb. 1: Verbreitung der Pfahlbauerfundstellen im Alpenraum © Blue Marble, NASA / Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Eliane Schranz

Der Startschuss zur Pfahlbauerforschung fiel im Jahr 1853/1984, als der Lehrer Johannes Aeppi in Meilen am Zürichsee durch den niedrigen Seewasserspiegel Pfähle im Wasser entdeckte. Der Präsident der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Ferdinand Keller, präsentierte der Fund erstmals der Öffentlichkeit. Zuvor entdeckte auch schon der Berner Archivar Albert Jahn Pfahlbauten bei Mörigen am Bielersee. Durch die Juragewässerkorrektion in den Jahren 1868-1891 kamen weitere Fundstellen aus dem Wasser. Das Interesse der Öffentlichkeit war gross, es wurden Sammlungen von Neolithischen Funden angelegt und Museen eröffnet. Seit der Entdeckung der Pfahlbauer entwickelten sich die archäologischen Untersuchungsmethoden stetig fort. Unterwasserarchäologie wurde zu einer wichtigen Disziplin in der Erforschung der Pfahlbauer. Der Begriff «Pfahlbauer» stammt aus den Anfängen der Pfahlbauerforschung und kommt von der Vorstellung, dass die Menschen des Neolithikums ihre Häuser ausschliesslich auf Pfählen im Wasser errichteten. Heute ist diese Vorstellung wie auch der Begriff überholt, weshalb in der Forschung die Begriffe «Seeufersiedlung» oder «Feuchtbodensiedlungen» gebräuchlich sind. Der Anstieg des Seespiegels bewirkte, dass heute die meisten Seeufersiedlungen unter Wasser liegen. Weil die meisten Seeufersiedlungen in Seen und feuchten Boden liegen, ist der Erhaltungszustand der Funde in einem guten Zustand. Dadurch kann nicht nur die Lebensweise der Menschen während des Neolithikums rekonstruiert werden, sondern auch die Umwelt- und Klimageschichte.

Verbreitung und Chronologie in der Schweiz

Das Neolithikum in der Schweiz ist in unterschiedliche Kulturen oder Keramikstile unterteilt. Diese sind nach Fundstellen, an denen der Keramikstil erstmals nachgewiesen wurde, benannt. Die neolithische Keramik ist je nach Zeit und Region unterschiedlich gestaltet. Ähnliche Keramik werden so zu einem Keramikkomplex zusammengefasst. Seeufersiedlungen findet man an vielen gossen, aber auch kleinen Schweizer Seen. In der Schweiz ist die Verbreitung der Seeufersiedlungen in drei Hauptregionen unterteilt: Westschweiz (Bielersee bis Genfersee), Zentralschweiz (Region Zürichsee) und Ostschweiz (Bodensee). Das Rhonetal und das Alpenrheintal bilden mit einigen Fundstellen Randgebiete des Schweizer Neolithikums. Die ältesten Seeufersiedlungen der Schweiz gehören der Egolzwiler Kultur an, benannt nach dem Fundort Egolzwil 3 (LU), die zwischen 4300 und 4100 v.Chr. datiert. Diese wurde in der Ost- und Zentralschweiz von der Pfyner-Kultur abgelöst (benannt nach dem Fundort Pfyn, TG), die etwa bis 3500 v.Chr. bestanden. Die Westschweiz war vor allem durch die Cortaillod-Kultur (benannt nach dem Fundort Cortaillod, NE) geprägt, die auch Einflüsse aus Südostfrankreich aufweist. Nach der Cortaillod-Kultur breitete sich in der Zentralschweiz die Horgener-Kultur aus (benannt nach dem Fundort Horgen, ZH), die auch in den Westschweizer Fundstellen, insbesondere am Bielersee, zu finden ist. Die Schnurkeramik und Glockenbecherkultur gehören in die Endneolithische Phase. Sie markieren den Übergang vom Neolithikum in die Bronzezeit.

Siedlungen im oder am Wasser?

Lange dachte man, dass die Häuser einer Seeufersiedlungen auf Pfählen im Wasser errichtet wurden. In den 1940er-Jahren fanden Archäologen Häuser, die am Ufer der Seen und Moore errichtet wurden. Nach den neusten Untersuchungen kennt man sowohl Häuser, die am Ufer errichtet wurden, als auch solche, die auf Pfählen im Wasser standen. Die Bauweise der Häuser waren jeweils an ihren Standort angepasst. Neolithische Siedlungen standen in der Regel nicht lange. Besonders im 4. Jt.v.Chr. wurden die Häuser durchschnittlich ein bis zwei Generationen lang benutz. Ab dem 3. Jt.v.Chr. wiesen die Häuser eine längere Nutzungsdauer auf, einige bis zu 100 Jahren. Die Menschen des Neolithikums lebten natürlich nicht nur an Seen und Mooren. Es sind auch Höhensiedlungsresten auf Hügeln und sogar in den Bergen bekannt. Siedlungen in Feuchtgebieten sind nur deshalb so bekannt, da sich das Material gut erhalten hat.

Abb. 2: Rekonstruktion von Pfahlbauhäusern im 19. Jh. und heute (Illustration: C. Marti)

Wirtschaft und Subsistenz in einer Seeufersiedlung

Landwirtschaftliche Geräte wie Hacken, Beile und Erntemesser sind Hinweise, dass die Menschen in Seeufersiedlungen hauptsächlich vom Ackerbau lebten. Die landwirtschaftliche Lebensweise begann um etwa 10’000 v.Chr. im Vorderen Orient (siehe Kapitel «Neolithische (R)evolution»). Von dort breitete sich die Neolithisierung über zwei Wege in Europa aus. Die Menschen des Neolithikums bauten Gerste (Hordeum vulgare), Einkorn (Triticum monococcum), Emmer (Triticum diococcum) und Hartweizen (Triticum durum) an. Auch Erbsen, Lein und Mohn wurde kultiviert. Zu den domestizierten Tieren sind Rind, Schwein, Schaf, Ziege und der Hund belegt. Die Äcker lagen nicht unmittelbar bei den Siedlungen, sondern in gerodeten Waldgebieten hinter den Siedlungen, wo sie auch vor Überschwemmungen geschützt waren. Neben der Landwirtschaft war auch das Sammeln von Wildpflanzen und Früchten sowie die Jagd und der Fischfang wichtige Nahrungsquellen.

Materielle Hinterlassenschaft

Das Fundmaterial des Neolithikums ist nicht homogen, sondern durch regionale Besonderheiten geprägt. Zu den häufigsten Funden zählen Gegenstände des alltäglichen Lebens wie Keramik, Werkzeuge und Waffen. Auch organisches Material wie Holz, Knochen, Textilien und Pflanzenreste blieben erhalten. Der ausgezeichnete Erhaltungszustand von organischem Material ist dem Umstand zu verdanken, dass die Funde all die Jahrtausende luftdicht unter Wasser eingeschlossen waren. So konnten sie nicht von Pilzen und Bakterien zersetzt werden.

Keramik

Keramik ist eine wichtige Fundgattung und technologische Entwicklung des Neolithikums. Erst seitdem die Menschen sesshaft wurden, stellten sie Töpfe zum Kochen und für die Vorratshaltung her. Neolithische Keramik wurde von Hand geformt, die Töpferscheibe kannte man in Europa erst ab der Eisenzeit. Aus dem Neolithikum sind hauptsächlich Kochtöpfe und Alltagsgeschirr erhalten. Da sich die Form und Verzierung der Gefässe über die Zeit hinweg verändern, können Scherben zur Datierung verwendet werden, indem für jede Zeitstufe die typischen Gefässmerkmale identifiziert werden. Auch weisen die Gefässe in ihrer Form und Verzierung regionale Unterschiede auf. Anhand der Merkmale können Netzwerke und Kontakte zwischen den Menschen aus unterschiedlichen Regionen festgestellt werden. So wurde beispielsweise erkannt, dass die Gefässe aus der Dreiseen-Region jenen aus Südostfrankreich und Oberitalien gleichen. Aus den Töpfen können neben der Mobilität der Menschen auch eine ganze Reihe anderer Informationen zur Lebensweise der Menschen herausgelesen werden. Anhand von Speiseresten in den Töpfen konnte nachgewiesen werden, dass die Menschen bevorzugt Getreidebrei und Eintopf assen und möglicherweise auch schon Bier brauten.

Abb. 3: Entwicklung der Keramik am Bielersee im 4. und 3. Jt.v.Chr. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, René Buschor
Abb. 4: Verschiedene neolithische Gefässe aus Twann aus dem 39./38.Jh.v.Chr.) © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Badri Redha

Silexgeräte

Messer, Dolche und Pfeilspitzen wurden aus Silex (Feuerstein, Flint) hergestellt. Silex ist ein Gestein, das während der gesamten Steinzeit verarbeitet wurde. Da es ein weiches Gestein ist, lässt es sich durch spezielle Schlagtechniken zu scharfen Klingen und Pfeilspitzen verarbeiten. In der Schweiz ist Silex im Jura zu finden (z.B. Olten Chalchofen, Löwenburg-Neumühlefeld). Silex wurde aber auch von Weitem importiert. Bei einigen Silexwerkzeugen aus schweizerischen Seeufersiedlungen konnte nachgewiesen werden, dass das Rohmaterial aus Frankreich (Saône-Ebene, Pariser Becken und unteres Rhonetal) stammt. Für besonders aussergewöhnliche Pfeilspitzen wurde auch Bergkristall verwendet, ein Rohstoff aus den Alpen. Der Handel mit Rohstoffen über eine weite Distanz zeigt, dass die Menschen im Neolithikum nicht in geschlossenen Gesellschaften leben, sondern mobil waren und ein reger Austausch mit Rohstoffen, aber auch mit Wissen und kulturelle Aspekte stattfand.

Abb. 5: Ein Messer aus der Fundstelle Sutz-Lattrigen BE © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Badri Redha
Abb. 6: Verschiedene Pfeilspitzen aus Vinelz und Sutz-Lattrigen BE. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Badri Redha
Abb. 7: Verschiedene Silexdolche aus Sutz-Lattrigen und Vinelz BE. Das Rohmaterial wurde aus Frankreich importiert. Der Silex wird Grand Pressigny-Silex genannt © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Badri Redha

Hirschgeweih, Knochen und Holz

Hirsche wurden nicht nur wegen des Fleisches gejagt, sondern auch, um aus den Knochen und dem Geweih Werkzeuge herzustellen. Aus Hirschgeweih wurden Halterungen für Silexbeile, Becher, Spitzen, Harpunen, Nadeln, Hacken oder Hämmer hergestellt. Genauso vielseitig einsetzbar sind Knochen. Daraus wurden Spitzen, Messer, Schaber und Schmuck hergestellt. Holz gilt als eines der wichtigsten Rohmaterialien des Neolithikums. Neben Häuser wurden auch allerlei Alltagsgegenstände wie Beilholme, Hacken, Gefässe, Messergriffe und vieles mehr aus Holz hergestellt.

Abb. 8: Fälläxte aus Twann BE, Länge 70 cm © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Badri Redha
Abb. 9: Doppelaxt aus Lüscherz BE, Länge 17cm © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Badri Redha
Literatur

Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Die Pfahlbauer. Am Wasser und über die Alpen (Bern 2013)
Bleuer, E. – Hochuli, S. – Ebbe, N., Die neolithischen und bronzezeitlichen Seeufersiedlungen des zentralen Mittellandes. Mitteilungsblatt von Archäologie Schweiz, 27, 2004, 30-41.
Bolliger Schreyer, S., Pfahlbau und Uferdorf (Bern 2004)
Hafner, Albert; Suter, Peter J. -3400. Die Entwicklung der Bauerngesellschaften im 4. Jahrtausend v.Chr. am Bielersee aufgrund der Rettungsgrabungen von Nidau und Sutz-Lattrigen. Ufersiedlungen am Bielersee: Vol. 6. (Bern 2000)
Hafner, A. und Suter P.J. Das Neolithikum in der Schweiz (Bern 2003)
Hafner, A. / Suter, P. J., Aufgetaucht. 1984-2004 (Bern 2004)
Suter, P. J., Um 2700 v. Chr. Wandel und Kontinuität in den Ufersiedlungen am Bielersee. Archäologischer Dienst des Kantons Bern (Bern 2017).
Stöckli, W. E., Chronologie und Regionalität des jüngeren Neolithikums (4300-2400 v.Chr.) im Schweizer Mittelland, in Süddeutschland und in Ostfrankreich aufgrund der Keramik und der absoluten Datierungen, ausgehend von den Forschungen in den Feuchtbodensiedlungen der Schweiz (Basel 2009)
Stöckli, W. E., Urgeschichte der Schweiz im Überblick (15’000 v.Chr. – Christi Geburt). Die Konstruktion einer Urgeschichte (Basel 2016)
https://www.palafittes.org/startseite.html

Letzte Änderung: 19.06.2021

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