Oftmals werden die Griechen als Begründer der modernen Demokratie angesehen. Dennoch unterschiedet vieles die attische Demokratie von der modernen Demokratie, wie man sie beispielsweise in der heutigen Schweiz kennt.
Anfänge und Entwicklung der attischen Demokratie
In der Antike bestand Griechenland aus verschiedenen autonomen Staaten, den Poleis (Sg. Polis). Athen war eine der mächtigsten und flächenmässig die zweitgrösste Polis in Griechenland. Bis ca. 800 v.Chr. wurde Athen als Monarchie regiert, die dann von der Adelsherrschaft (Aristokratie) verdrängt wurde. Die Regierungsaufgaben – Kriegsführung, kultische Aufgaben und Rechtsprechung – wurden an verschiedene Archonten (adelige Beamte) verteilt. Die Archonten wurden vom Areopag (Adelsrat) gewählt und waren jeweils ein Jahr im Amt. Im 7. Jh.v.Chr. kam es zu wirtschaftlichen und sozialen Krisen in Athen. Grund war unter anderem ein rascher Bevölkerungsanstieg und die daraus resultierende Lebensmittelknappheit. Es kam innerhalb des Adels zu Rivalitäten und die zu Wohlstand gekommenen Kaufleute und Handwerken verlangten vermehrt nach Mitspracherecht in der Politik. Um die Situation unter Kontrolle zu bringen, wählte der Areopag einen Diallaktes, der die Vollmacht besass, gewisse Änderungen in den Gesetzen zu verlassen. 594 v.Chr. wurde Solon zum Diallaktes gewählt. Solon legte mit seinen Reformen den Grundstein der Attischen Demokratie. Er hob unter anderem die Schuldknechtschaft auf und reformierte das Mitspracherecht des Volkes in der Volksversammlung. Trotz der Reformen wurden die sozialen Probleme nicht gelöst. Es kam zu Unruhen, wobei Peisitratos die Gunst der Stunde nutzte und im Jahr 546 v.Chr. die Akropolis besetzte und eine Tyrannis einrichtete. Unter seiner Herrschaft kam es zwar zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, doch als seine Söhne Hipparchos und Hippias die Herrschaft weiterführten, kam es zu Aufständen, bei denen beide Tyrannen gestürzt wurden. Daraufhin konnte sich Kleisthenes mit seinen Reformen durchsetzen. Er erneuerte die Phylenordnung, löste dadurch die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Adelige und Bauern auf, mischte den Rat der 500 neu und trieb die Politisierung der Bürger voran. Mit seinen Reformen gilt Kleisthenes als wichtigen Wegbereiter der attischen Demokratie. Auch führte Kleisthenes das Ostrakismos (Scherbengericht) ein. Bei Ostrakismos konnte eine Person aus der Polis verbannt werden, indem die Bürger den Namen der unerwünschten Person auf eine Keramikscherbe schrieben. Erhielt eine Person mehr als 6000 Stimmen, musste sie für 10 Jahre die Polis verlassen. In den Jahren 490 und 480 v.Chr. erschütterten die Perserkriege Athen. Doch der militärische Erfolg Athens förderte die Entwicklung der attischen Demokratie. Besonders der Archon Themistokles stach dabei heraus. Er setzte 487/86 v.Chr. Verfassungsänderungen durch, die festlegten, dass nicht die Wahl über die Besetzung des höchsten Beamtenposten bestimmen sollte, sondern die Auslosung aus einer Gruppe vorbestimmter Kandidaten. Weitergeführt wurden die Demokratisierungsprozesse von Ephialtes und Perikles. Sie entzogen 462 v.Chr. dem Areopag die Aufsicht über die Beamten und das Vetorecht gegen Beschlüsse der Volksversammlung und ermöglichten Bürgern aus sozial schwächeren Schichten den Zugang zu politischen Ämtern. Mit Perikles war die Herausbildung der attischen Demokratie beendet. Bis zum Aufstieg der Makedonen im 4. Jh. war die Demokratie die Staatsform Attikas.
Wer durfte an der Demokratie teilhaben?
Die attische Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass jeder Bürger an der Volksversammlung und der Gerichtsversammlung teilnehmen und ein politisches Amt bekleiden durfte. Jeder Bürger hatte bei der Volksversammlung Rede-, Antrags- und Abstimmungsrecht. Jedoch galten nicht alle Bewohner und Bewohnerinnen Athens als Bürger: Nur freie erwachsene Männer hatten den Status eines Bürgers. Von der Demokratie ausgeschlossen waren Frauen, Unfreie und Metöken (Fremde, die in Athen wohnhaft waren, aber keine attische Staatsbürgerschaft besassen). Somit nahm nur ein kleiner Teil der gesamten Bevölkerung Attikas aktiv an der Demokratie teil. Von den Bürgern konnte jeder ein Amt bekleiden. Die meisten Amtsträger wurden durch das Los bestimmt. Bei Funktionen, die spezifisches Fachwissen erforderten, wie zum Beispiel die Strategen und Finanzverwalter, wurde der Amtsträger gewählt. Durch die Amtsvergabe durch das Los sollte maximale Chancengleichheit erreicht werden.
Funktion der attischen Demokratie
Die politische Organisation: Grundlage der politischen Organisation waren die Demen (Gemeinden). Kleisthenes fasste die Demen zu 30 Trittyen zusammen. Diese waren unterteilt in die Trittyen der Stadt, des Landes und der Küste. Je eine Trittys aus den verschiedenen Regionen wurde zu einer Phyle kombiniert. Insgesamt gab es 10 Phylen.
Die Volksversammlung: Jeder Bürger übt seine Rechte direkt und unmittelbar an der Volksversammlung aus. Das Mitwirken am politischen Geschehen beinhaltete für die Bürger Athens die Gesetzgebung, Gerichtsgewalt, Regierung und Kontrolle. Kernstück des politischen Geschehens waren die Ekklesia (Volksversammlungen), bei denen Gesetze beschlossen, Amtsträger gewählt und kontrolliert, Richter gewählt und die Ostrakismos durchgeführt wurden. Jeder Bürger besass bei der Volksversammlung Rede-, Antrags- und Abstimmungsrecht. Die Versammlungen fanden jeweils auf der Pnyx, einem Hügel im Westen der Stadt, statt. Versammlungen dauerten in der Regel nicht länger als einen Tag und wurden einige Tage vorher auf einem Anschlagbrett auf der Agora angekündet. Abstimmungen werden in der Regel durch Handheben durchgeführt, der Entscheid der Mehrheit galt. Für eine Beschlussfassung waren die Stimmen von 6000 Bürgern notwendig. Für die Umsetzung der Beschlüsse waren verschiedene Beamte zuständig. Die Beamten wurden ausgelost, auch ihre Amtszeit war auf ein Jahr beschränkt. Die Beamten wurden vom Rat und der Volksversammlung kontrolliert und konnten jederzeit abgesetzt werden.
Der Rat der 500 (Boule): Der Rat der 500 setzte sich aus 50 Vertretern der zehn Phylen zusammen. Die Vertreter wurden durch das Los gewählt und waren jeweils für ein Jahr im Amt. Der Rat war für die Vorbereitung der Volksversammlung zuständig. Sie berieten über den Inhalt der Diskussionen und Abstimmungen und leiteten die Versammlung.
Gerichtsbarkeit: Über das Los wurden jährlich 6000 Richter bestimmt. Es gab keine Berufsrichter, keine Ermittlungsbehörde und keine Staatsanwälte. Dem Gericht sassen neuen Archonten vor, die ebenfalls durch das Los bestimmt wurden. Für das Blutgericht war der Areopag zuständig. Der Areopag tagte auf dem gleichnamigen Felsen (Areopag = Areshügel) am Fusse der Akropolis.

Literatur Bleicken, J., Die athenische Demokratie (Paderborn 1991) Funke, P., Athen in klassischer Zeit (München 2003) Günther, L.-M., Griechische Antike (Tübingen 2011) Stahl, M., Gesellschaft und Staat bei den Griechen. Klassische Zeit (Paderborn 2003) Welwei, K.-W., Das klassische Athen. Demokratie und Machtpolitik im 5. und 4. Jahrhundert (Darmstadt 1999) |
Letzte Änderung: 14.11.2020