Megalithanlagen in Vorderasien und Europa

Zeichen von Macht und Hierarchie

Der Übergang von der mobilen zur sesshaften Lebensweise (siehe Kapitel «Neolithische (R)evolution») brachte auch eine Erneuerung der Gesellschaftsform mit sich. Dadurch, dass die Menschen sesshaft wurden und Landwirtschaft betrieben, wuchs die Bevölkerung. Eine Zunahme der Bevölkerung ergab eine zunehmend komplexere Gesellschaftsstruktur. Eine komplexe Gesellschaftsstruktur wiederum macht eine Administration nötig, die das alltägliche Leben und Miteinander koordinierte. So bildeten sich neue sozialen Strukturen und Hierarchien. Ebenfalls erlangten Konzepte wie Territorien, Landbesitz, Status und Statussymbolen neue Bedeutungen. Für das Neolithikum sind insbesondere Megalithanlagen Zeichen einer hierarchisch aufgebauten und gut organisierten Gesellschaft. Megalithanlagen wurden aus grossen Steinblöcken errichtet (gr. megas= gross, lithos=Stein). Zu deren Errichtung bedurfte es eine grosse Anzahl von Menschen sowie eine arbeitsteilige Gesellschaft. Man unterscheidet zwischen Megalithanlagen mit Grabfunktion und solche ohne Grabfunktion. Megalithische Monumente ohne Grabfunktion, zu denen Steinkreise oder Menhire (Hinkelsteine) gehören, haben nicht zwingend eine funktionale Bedeutung, sondern dienen als Zeichen der sozialen Identität, der Kommunikation und zur Erinnerung und Sichtbarmachung der Gesellschaft, die sie errichteten.

Göbekli Tepe

Zu den bekanntesten und bedeutendsten Megalithanlagen Vorderasiens zählt Göbekli Tepe. Göbekli Tepe ist eine neolithische Stätte in der Türkei nahe der heutigen Grenze zu Syrien. Die Fundstelle gilt als ein hervorragendes Beispiel für die Komplexität der neolithischen Gesellschaft. Mit der Datierung um 10’000 v.Chr. steht Göbekli Tepe vor oder ganz am Anfang des Neolithisierungsprozesses. Die Fundstätte besteht aus mehreren ringförmigen Strukturen, in deren Inneren Stelen aus Stein (die grössten sind bis zu 5m hoch) aufgestellt sind. Diese, aufgrund ihrer Form als «T-Pfeiler» bezeichneten Stelen sind mit Darstellungen von Tieren wie Fuchs, Skorpion, Stier, Eber, Schlange, Vögel, Enten, Widder und Löwen, aber auch mit geometrischen und menschenähnlichen Figuren verziert. Die Bedeutung und Funktion dieser Anlage ist nach wie vor ungeklärt. Möglicherweise war es eine religiös-rituelle Stätte, möglicherweise ein Versammlungsort für eine oder mehrere Gemeinschaften, die in der Region ansässig waren. Da in Göbekli Tepe selbst und in der Umgebung keine Spuren von Siedlungen gefunden wurden, kann ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um eine Wohnstätte handelte. Auch wenn die Bedeutung der Stätte noch unerschlossen ist, zeigt Göbekli Tepe, dass die Erbauer dieser Anlage in einer komplex organisierten Gemeinschaft mit Arbeitsteilung lebten. Um ein solches Werk zu bewerkstelligen, braucht es eine Administration, die den Bau koordinieren und leiten, eine funktionierende Logistik um das Rohmaterial zu beschaffen und zu transportieren, spezialisierte Bildhauer und viele weitere.

Abb. 1: Göbekli Tepe ist nahe der syrischen Grenze gelegen (Wikimedia commons, Public Domain)
Abb. 2: Die Ausgrabungsstätte von Göbekli Tepe mit den Rundhäusern und T-Pfeilern © Cynthia Marti
Abb. 3: Ein T-Pfeiler mit Darstellungen von Armen, Gürtel und einem Fuchs © Cynthia Marti

Megalithanlagen in Europa

Megalithische Grabanlagen – Dolmen

Mit Herausbildung der Hierarchie kommen auch Statussymbole auf, die den Rang einer Person unterstreichen. Gräber sind eine Befundgattung, bei denen Status besonders sichtbar sind, einerseits durch die wertvollen Grabbeigaben, andererseits durch die Grabarchitektur. Für das Individuum, das in einem Megalithgrab bestattet wurde, ist dies ein Zeichen von Status, denn nicht jeder hatte die Ehre, in einem solch monumentalen Grab bestattet zu werden. Megalithische Grabanlagen können unterschiedlich aufgebaut sein. In der Regel wird zwischen Domen und Ganggrab unterschieden, eine Einteilung, die auf den Archäologen Ernst Sprockhoff zurückgeht. Ein Dolmen wird aus grossen unbearbeiteten Steinblöcken errichtet. Es besteht je nach Bauweise aus mindestens drei Tragsteinen (Orthostaten), auf denen ein oder mehrere Decksteine liegen. Bei den meisten oberflächlich sichtbaren Dolmen stehen heute nur noch die grossen Steinblöcke. Ursprünglich lagen die Dolmen aber unter einem Hügel aus Schutt oder Erde. Besonders in Norddeutschland, Südskandinavien und Westeuropa sind Dolmen verbreitet. Zeitlich sind sie in das 5. bis 3. Jt.v.Chr. anzusiedeln. In einem Dolmen sind in der Regel mehrere Individuen bestattet.

Der Dolmen von Oberbipp

Der Dolmen von Oberbipp wurde 2011 auf einem Acker entdeckt. Der Dolmen besteht aus vier Orthostaten, die die Seitenwände bilden. Auf denen lag ein Findling als Deckplatte. Auf beiden Seiten des Einganges lagen zwei weitere Steinblöcke. Der Dolmen ist ein Kollektivgrab, in dem mehr als 42 Menschen bestattet waren. Darunter sind Männer, Frauen, Kinder und ein Neugeborenes, die parallel neben- oder übereinander lagen. Auch Beigaben befanden sich im Dolmen. Gefunden wurden Pfeilspitzen und Messern aus Silex sowie Schmuck aus Tierzähnen und Steinperlen. Der Dolmen datiert in die Mitte des 4. Jt.v.Chr. Der Dolmen von Oberbipp ist einer von wenigen erhaltenen Dolmen der Schweiz.

Abb. 4: Die bestatteten Individuen im Dolmen von Oberbipp © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Urs Dardel
Abb. 5: Nach der Ausgrabung wurde der Dolmen auf dem Friedhof von Oberbipp rekonstruiert © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Marianne Ramstein

Menhire, Steinkreise, Alignements und Stelen

Menhire (bretonisch men = Stein, hir = lang) sind aufrechtstehende Steine. Sie können alleine stehen (Abb. 5) oder in einer Reihe, sogenannte Alignements (Abb. 6), aufgestellt sein. Manchmal sind sie auch kreisförmig zu einem sogenannten Cromlech oder Henge angeordnet. Menhire sind vor allem in Frankreich verbreitet, man findet sie aber auch auf den Britischen Inseln, der iberischen Halbinsel, den westlichen Mittelmeerinseln und vereinzelt in Zentraleuropa. Menhire können unbearbeitete oder bearbeitete Steine sein, einige waren sogar mit Gravuren oder Menschendarstellungen verziert (Abb. 7). Die Funktion und Bedeutung von Menhire, Steinreihen und Steinkreise ist unklar. Möglicherweise waren es Orte des Kultes und der Religion? Oder waren es Orte der Gemeinschaft?

Abb. 6: Der Menhir von Kerolas (F) ist mit seinen 131 m einer der höchsten Europas (Wikimedia Commons, By Gerhard Haubold – Own work, CC BY-SA 3.0)
Abb. 7: Alignement von Carnac (F) (Wikimedia Commons, By Steffen Heilfort – Own work, CC BY-SA 3.0)
Abb. 8: Eine Stele mit Menschendarstellung aus der Fundstelle Sion Petit-Chasseur (VS) (Wikimedia commons, By © Musées cantonaux du Valais, H. Preisig – Département Préhistoire et Antiquité du Musée; Histoire du Valais., CC BY-SA 4.0)
Literatur
Furholt, M. – Lüthi, F. – Müller, J., Megaliths and Identities. Early Monuments and Neolithic Societies from the Atlantic to the Baltic. 3rd European Megalithic Studies Group Meeting 13th – 15th of May 2020 at Kiel University (Kiel 2011)
Müller, J., Grosssteingräber, Grabenwerke, Langhügel. Frühe Monumentalbauten Mitteleuropas (Darmstadt 2017)
Schmidt, K., Sie bauten -die ersten Tempel. Das rätselhafte Heiligtum am Göbekli Tepe (München 2016)
Schulz Paulsson, B., Time and Stone. The Emergence and Development of Megaliths and Megalithic Societies in Europe (Oxford 2017)
Moetz, F., Early Neolithic special Buildings sites of Upper Mesopotamia. In: Schulz Paulsson, B. / Gaydarska, B., Neolithic and Copper Age Monuments. Emergence, function and the social construction of the landscape (Oxford 2014)
Für mehr Informationen und Fotos zu Göbekli Tepe: https://www.dainst.blog/the-tepe-telegrams/ (Deutsches Archäologisches Institut)
Dolmen von Oberbipp:
Ramstein, M., Ein neolithischer Dolmen an der Steingasse in Oberbipp. Mitteilungsblatt von Archäologie Schweiz, 37, 3, 2014, 4-15.
Ramstein, M./ Cornelissen, M./ Schimmelpfennig, D./ Rentzel, P., Der Dolmen von Oberbipp, Steingasse Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchung eines spätneolithischen Megalithgrabes. In: Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern, 2020, 94-201.
Siebke, I. et al., Who lived on the Swiss plateau around 3300 BCE? Analyses of commingled human skeletal remains from the dolmen of Oberbipp. Int J Osteoarchaeol., 29, 2019, 786-796.

Letzte Änderung: 19.06.2021

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